Climate change is a
psychological crisis,
whatever else it is.
Poulsen, 2018
Raus aus der Klima-Aufschieberitis
Andrea Lilge-Hartmann (Bremen)
Was hat der Klimawandel mit Psychologie zu tun? Sehr viel, denn wenn wir davon ausgehen müssen, dass der Klimawandel menschengemacht ist, dann ist der Faktor Mensch, wie wir handeln oder eben nicht handeln, der entscheidende und zugleich unberechenbare Faktor im weiteren Ablauf der Klimakrise. Man sollte meinen, dass wir wenigstens das sofort umsetzen, was von der Wissenschaft an konkreten Maßnahmen vorgeschlagen wird, um die Katastrophe noch abzuwenden. Immerhin geht es um unser Leben! Aber weder passiert das auf individueller Ebene, noch leiten die politischen EntscheidungsträgerInnen die notwendigen klimapolitischen Schritte ein. Nicht mal, wenn wir eine grüne Regierungspartei haben, kriegen wir ein einfaches Tempolimit auf der der Autobahn hin und vieles andere, das viel umwälzender wäre, erst recht nicht. Die Klimakrise ist auch eine psychologische Krise, da wir uns als Kollektiv irrational verhalten. Wir handeln wider besseren Wissens und gefährden uns selbst und andere dadurch. Was kann die Psychologie dazu beitragen, diese globale Neurose zu bekämpfen?
Ich wurde für diesen Vortrag ursprünglich gebeten etwas zur Frage „Was kann ich tun?“ beizutragen. Dieser Bitte möchte ich im Prinzip gern nachkommen. Es ist verständlich, dass Sie sich von mir als Psychologin eher etwas Aufmunterndes wünschen, das Ihnen Antrieb und Hoffnung gibt. Doch muss ich warnen: in meinem Vortrag wird es auch um die Begrenztheit unseres individuellen Handelns gehen. Konstruktive Handlungsvorschläge sind natürlich gut für die Stimmung, aber ich möchte erklären, warum kritischer Pessimismus in der Klimapolitik mindestens genauso wichtig ist. Denn nicht die Prophezeiungen und Warnungen der Klima-WissenschaftlerInnen sind das Problem, sondern dass wir sie nicht ernst nehmen. Ratschläge, wie man für Klimaschutz aktiv werden kann, sind aufmunternd. Sie geben uns das Gefühl: Wir müssen es nur anpacken. Doch viele der kursierenden Positiv-Entwürfe sind mit Vorsicht zu genießen, nicht selten sind sie nur Wohlfühlutopien, die niemandem wehtun (Horn 2022): Konsumverhalten soll nachhaltig werden, aber es soll keine Einschränkungen oder gar Verbote geben, sondern es soll weiterhin ungehemmt konsumiert werden, aber mit gutem Gewissen. Genauso sollen sich alle weiterhin ungehindert durch die Welt bewegen dürfen, ein Ende des Individualverkehrs scheint unvorstellbar. Die propagierte Umstellung von Verbrennungsmotoren auf E-Autos verschafft das beruhigende Gefühl, das alles bleiben kann, wie es ist. Viele Ideen und Innovationen sind Greenwashing. Feel good steps, die der Schuldabwehr dienen und so zahnlos sind, dass niemand etwas dagegen haben kann, denn sonst würden sie uns nämlich keine Hoffnung geben, sondern Angst machen. (ebd.) Tiefgreifende Veränderungen machen nämlich mächtig Angst!
Wir machtvoll realistisches Schwarzsehen und die Artikulation der Angst sein kann, wird deutlich, führt man sich vor Augen, dass „die einzige Kraft, der es gelungen ist, den Klimawandel endlich auf die politische Agenda zu setzen, eine Bewegung von Kindern und Jugendlichen war, die gar keine tollen Utopien im Kopf hatten, sondern ganz einfach ihrer Angst und ihrem Zorn Ausdruck verliehen haben“ (ebd.):
O-Ton Greta Thunberg: „I don’t want you to be hopeful. I want you to panic. I want you to feel the fear I feel everyday. And then I want you to act. I want you to act as if you would be in a crisis. I want you to act as if our house is on fire. Because it is.” (Thunberg 2019) Negativer geht es nicht: „Ein Mädchen, das ganz einfach sagt, dass es Angst hat. Angst davor, dass die Welt […] kaputtgehen wird. Keine Lösungen, keine Forderungen, einfach ein lautes, wütendes „Stop“. (Horn 2022) Es ist manchmal wichtig, „die Gegenwart zu kritisieren, ohne immer gleich die Lösung mit zu präsentieren. […] ‚Unser Haus brennt‘ und nicht: ‚Ich würde diese und jene Löschmaßnahmen vorschlagen, am besten mit einem Zehnjahresplan.‘“ (ebd.).
Es wäre so hilfreich, wenn in der Klimapolitik alles so kindlich klar benannt würde. Dass manche Dinge einfach schlecht sind und sofort weg müssen. Solche klare Kritik ist nicht lähmend, sondern drängt zur Eile. (ebd.) Das wütende „Nein“ hat die Kraft, zu mobilisieren, weil es nicht nur Fakten vermittelt, sondern auch Emotionen. Wir brauchen viel mehr alarmiertes Drama in der Klimapolitik. Mehr KlimahysterikerInnen und Dramaqueens/kings! „Auch wenn Angst als Mobilisierungskraft erst mal eher unangenehm klingt, motiviert sie doch viel stärker als positive Hoffnungen und Leitbilder.“ (ebd.)
Inzwischen ist die Klimakrise zwar in unseren Gärten angekommen, so dass das Verdrängen nicht mehr ganz so gut gelingt. Gleichzeitig scheinen sich aber auch so etwas wie Abstumpfungs- und Gewöhnungseffekte auszuwirken (v. Bronswijk et al. 2021). Wenn jeden Tag jemand schreit, dass das Haus brennt, hört irgendwann keiner mehr hin oder fühlt sich niemand mehr zuständig. Verantwortungsdiffusion wird das in der Psychologie genannt. Aber erklären solche Mechanismen wirklich, warum anscheinend so wenige Menschen Angst vor dem Klimawandel haben?
Vielleicht wundern Sie sich auch, dass so wenige in Ihrem Umfeld über konkrete Symptome des Klimawandels sprechen, die Ihnen Sorgen bereiten? Oder dass wenn Sie Ihre Besorgnis über den Klimawandel mitteilen, sie zu hören kriegen, dass Sie positiver denken und optimistisch bleiben sollen? Es ist bislang außerhalb der „KlimaaktivistInnen- Blase“ noch schwer, Menschen zu finden, mit denen wir wirklich offen und aufrichtig sprechen können über den Zustand der Erde. Diese Diskrepanz kann absolut beunruhigend wirken, sie hat mich persönlich letzten Sommer, als mich die Bilder von den Überschwemmungen im Ahrtal nachts aus dem Schlaf geschreckt haben, irgendwann fragen lassen: bin ich eigentlich komisch oder alle anderen, die so sorglos weiterleben? Und diese Frage hat mich irgendwann genauso stark beschäftigt wie die beunruhigenden Klimaereignisse an sich. Warum ist die Angst vor dem Klimawandel so wenig präsent?
Es gibt dazu ein evolutionspsychologisches Erklärungsmodell. Danach passt das menschliche Angstsystem, das sich im Laufe der Evolution entwickelt hat, nur bedingt zu den Gefahren im Hier und Jetzt (Chmielewski et al. 2019). Es ist auf konkrete, sichtbare Gefahren geeicht. Doch Angriffe von Schlangen oder Säbelzahntigern sind inzwischen eher selten, vielmehr sind heutige Bedrohungen oft unsichtbar und schleichend. Gerade die Klimakrise fühlte sich für viele Menschen bis heute noch weit weg und abstrakt an.
Die wenigsten fühlen sich als Betroffene, sondern ordnen sie ein als etwas, das die Menschen im globalen Süden bedroht oder das den Generationen nach uns passiert. Sie fühlt sich deshalb im Alltag weniger dringlich an als alles andere, was dringend ist auf unseren to do-Listen. Das führt dazu, dass die meisten Menschen ihr normales Leben einfach weiterleben und untätig bleiben. Ohne Angst sehen viele Menschen nicht so recht ein, warum sie irgendetwas tun sollten. Das ist in Anbetracht der sehr ernsten wissenschaftlichen Prognosen zu den Folgen des Klimawandels äußerst unvernünftig, während das Angsthaben eine völlig angemessene Reaktion wäre. Denn nur Angst- als unsere Alarmanlage - bringt uns dazu, Bedrohungen zu sehen und aktiv zu werden. Deswegen ist Angst vor dem Klimawandel richtig und wichtig (PsychologistsForFuture 2022).
So weit so schlüssig. Dennoch greift dieses Modell in seiner Analyse zu kurz. Denn wir müssen uns fragen, ob es überhaupt stimmt, dass so wenige Menschen Angst vor dem Klimawandel haben und dass die Mehrheit völlig gleichgültig ist gegenüber den düsteren Prognosen. Stimmt nicht eher das Gegenteil, nämlich dass die Bedrohung so groß, komplex und existentiell ist, dass es die menschlichen Möglichkeiten übersteigt, das zu fühlen? (vgl. Habibi-Kohlen 2013/2021 und „Terror-Management-Theorie“ bei Chmielewski et al. 2019).
Wo scheinbar ein Mangel an Besorgnis ist, sind bei vielen Menschen eigentlich ganz
starke Gefühle (Lertzman 2016 u. 2019). So stark, dass sie bedrohlich sind und abgewehrt
werden müssen. Menschen haben nur einen bestimmten Spielraum, innerhalb dessen sie
Stress aushalten können, um psychisch gesund zu bleiben, d.h. in gutem Kontakt mit
ihren Gefühlen und Gedanken. Wenn wir zu sehr gestresst werden, kann unsere seelisches
System zusammenbrechen, was sich entweder in depressiven Zuständen niederschlagen
kann oder auch in einer Art zwanghaften Starre mit viel
unterdrückter Wut und Verleugnung.
Kommt es zum Zusammenbruch, sind wir nicht mehr sehr belastbar oder kreativ. Das
stetige Anwachsen von psychischen Störungen weltweit hat meiner Überzeugung nach
sehr viel zu tun mit dem kaum noch aushaltbaren Stress, den nicht zuletzt die Klimakrise,
aber natürlich auch die anderen Krisen auf der ganzen Welt bei uns auslösen. Die
Zeiten sind so unerträglich beängstigend geworden, dass immer mehr Menschen entweder
in lebensbedrohliche Sinnkrisen verfallen oder so viel psychische Energie aufwenden
müssen, um die Bedrohung um sich herum auszublenden, dass sie nicht mehr in Kontakt
mit sich selbst sind (Habibi-Kohlen 2021 u. Lerztman 2019). Wir befinden uns also
aus psychologischer Sicht wirklich in einer schwierigen Situation. Wir wollen Bedrohungen
und damit einhergehende unangenehme Gefühle möglichst schnell beenden – und notfalls
tun wir dann halt so, als wären sie weg, anstatt uns auf mühsame und langfristige
Klimaschutzmaßnahmen einzulassen. Die Alternative dazu bedeutet eine Konfrontation
mit sehr schwierigen Gefühlen (Lertzman 2019).
Haben Sie sich selbst schon mal gefragt, was Ihre Gefühle zur voranschreitenden Umwelt- und Klimaveränderungen sind? Ich meine nicht Ihre Meinungen und Überzeugungen dazu, sondern wirklich Ihre Gefühle! Fragen Sie sich selber einmal, was fühle ich zu den sterbenden Wäldern, den trockenen Böden, den verschwundenen Insekten, den Tagen mit 45 Grad Celsius, den Starkregenfällen und den Stürmen? Nicht nur zu WISSEN, sondern auch zu FÜHLEN, dass der Klimawandel eine sehr ernste Bedrohung darstellt, bedeutet für unsere Psyche eine Form von Stress, der kaum zu ertragen ist (ebd.). Es ist zutiefst schmerzhaft, sich bewusst zu machen, was genau jetzt mit unserem Planeten passiert. Dürren, Überschwemmungen, Mikroplastikpartikel überall, massenhaftes Artensterben. Wer sich alldem stellt, fühlt sich schnell völlig überwältigt und überfordert, hilflos, machtlos, wütend, betäubt, vielleicht alles gleichzeitig. Diese komplizierten Gefühle sind absolut sinnvoll, stellen aber ein Maximum an Stress und Besorgnis dar. Zuviel Angst kann zur Panik werden. Kann uns lähmen. Kann dazu führen, dass wir erstarren. Uns ohnmächtig fühlen.
Wichtig dabei ist, sich klar zu machen, dass solche überbordenden emotionalen Reaktionen auch von alten Gefühlen gespeist werden, von einem alten Schmerz (Lertzman 2016) Denn wer trägt nicht diese vermeintlich heile ökologische Welt in sich, in der viele von uns einst, als wir Kinder waren, Natur erfahren und erlebt haben- egal wie alt wie wir sind und wie angegriffenen tatsächlich auch damals schon unsere Umwelt war?
Viele Menschen, auch denen, die nichts mit Klimaengagement am Hut haben, fällt, wenn Sie über Ihre Gefühle zu Umwelt, Natur und Klima nachdenken, etwas aus ihrer persönlichen Vergangenheit ein (ebd.). Der Garten, der ein sorgloser Ort war, nicht einer, wo Arbeit auf sie wartete. Die Bäume, die als Kind Freunde waren zum Rumklettern, die als haltend und schützend erlebt wurden, nicht als als etwas, das durch einen Sturm einfach umgeknickt werden und zur Bedrohung werden kann. Die Strahlen der Sonne, die, als man klein war, einfach wärmend und freundlich liebkost haben. Dass sie auch gefährlich sind, wurde allmählich deutlich, je mehr Eltern einem mit Sonnencreme zu Leibe rückten. In sommerlich duftenden Kornfeldern konnte man sich verstecken, in verwunschenen Wäldern umherstreifen - undenkbar, dass sie einmal verschwinden könnten und auf den einstigen Äckern dicht an dicht die Häuser einer Neubausiedlung stehen würden oder dass Dürre und Borkenkäfer die Wälder in kahle Steppen verwandeln könnten.
Die so stark verbreitete Hoffnungslosigkeit in Anbetracht der Klimakrise resultiert
auch aus unserer Ahnung, dass für niemanden von uns die vermeintlich heile Umwelt
von früher jemals wiederkehren wird (ebd.). Gleichzeitig sehnen wir uns so sehr nach
diesem Früher zurück, wo wir unschuldig mit der Natur verbunden waren. Als Kinder
haben sich viele von uns in der Natur bewegt, sind aus diesem paradiesischen Gefühl
jedoch rausgefallen, ganz ohne naturzerstörende Eingriffe von außen, einfach durch
unser Älterwerden, die Reifung unseres Denkens, den Verlust unserer Kindheit. Der
Verlust des Gefühls von Eins-Sein mit Natur fällt bei vielen zusammen mit dem Ende
ihrer Kindheit.
Viele kämpfen so im Stillen mit einer diffusen nostalgischen Sehnsucht,
aber auch Schuldgefühlen, das alles hinter sich gelassen zu haben anstatt sich für
den Erhalt der geliebten Natur stark gemacht zu haben (ebd.) Der Verlust der heilen
Naturerfahrung ist meistens unbetrauert geblieben und trägt zur aktuellen Resigniertheit
und Hoffnungslosigkeit vieler Menschen bei. Denn aufgrund des biografischen Erlebens,
dass der Verlust eh schon passiert ist und sich nicht mehr rückgängig machen lässt,
sind viele Menschen unbewusst davon überzeugt, dass Umweltzerstörung eine traurige,
aber irreparable Tatsache ist: it’s already lost! (ebd.) Deswegen wäre es so wichtig,
sich mit diesen Verlustgefühlen zu beschäftigen und miteinander darüber zu sprechen,
um wieder auseinanderhalten zu können, was wir da eigentlich an tatsächlichen und
symbolischen
Verlusten fühlen, um dann wieder erkennen zu können, was noch nicht
verloren ist und wo sich Auflehnung und Ärger noch lohnen!
Es ist jedenfalls oft nur trügerischer Schein, wenn Menschen gleichgültig gegenüber den Umwelt- und Klimaveränderungen wirken (ebd.). Wenn dann KlimaaktivistInnen denken, dass sie die Menschen motivieren und antreiben müssten, ist das oft eine Fehlannahme. Und das kann nach hinten losgehen, kann tatsächlich Abstumpfung und Passivität bewirken. Denn wenn die Annahme falsch ist, dass alle die, die sich nicht für den Klimaschutz einsetzen, teilnahmslos und abgestumpft sind, dann ist die psychologische Hauptaufgabe nicht, gleichgültige Menschen aufzurütteln (ebd.). Vielmehr müssen wir uns verstärkt in die Widersprüchlichkeit und Konflikthaftigkeit von uns selbst und den anderen einfühlen, also zum Beispiel, dass wir Menschen beides lieben und wertschätzen können: unsere Erde und die Natur genauso wie unsere Autos, unsere Reisen und unsere langen heißen Duschen. Und ob uns der bedrohte Zustand der Erde beunruhigt, schlägt sich nicht zwingend in der Wahl für eine bestimmte Partei oder für ein bestimmtes Produkt im Supermarkt nieder.
Auch müssen wir uns in die Tatsache einfühlen, wie sehr sich Menschen vor Veränderung fürchten, Angst haben, sich zu verändern. So sehr, dass sie es nicht denken können, es ist wie undenkbar. Das ist ein bisschen wie ein Double bind, also etwas, das ungut zu tun ist, aber auch ungut nicht zu tun, und wir stecken fest darin, was nicht sehr angenehm ist (Lertzman 2019). Wir tun alles, um die Veränderungsangst los zu werden, schieben es weg: „Wir wollen unser Schicksal selbst in der Hand behalten. Die notwendigen Einschränkungen des Klimaschutzes frustrieren dieses Bedürfnis. Viele Menschen fühlen sich deshalb wesentlich stärker eingeschränkt z.B. bei der Vorstellung lieber jetzt weniger Fleisch zu essen und zu reisen, als später unter Energie-, Wasser- und Nahrungsknappheit leiden zu müssen. Sie reagieren dann mit Trotz beziehungsweise Widerstand. Die Psychologie spricht hier von einer „Reaktanz“, die umso größer ausfällt, je stärker das eingeschränkte Bedürfnis ausgeprägt ist.“ (Chmielewski et al 2019).
Wie in der Coronakrise sichtbar geworden ist, kann auch fehlendes Vertrauen in die als Eliten wahrgenommene Wissenschaft und Politik sehr starke Gegnerschaften nach sich ziehen. Menschen fühlen sich dann nicht mehr von den Folgen des Klimawandels bedroht, sondern von diktatorischen Mächten, die ihnen ihre persönlichen Freiheitsrechte rauben. Solche Verschwörungstheorien führen gleichzeitig zu einem Gefühl der Aufwertung (ich habe etwas erkannt, bin nicht so dumm wie die anderen und kann mich dagegen nun wehren). Diese Art der Gefahrenverleugnung hilft also zugleich, sich nicht ausgeliefert zu fühlen (van Bronswijk et al. 2021).
Diesem Zweck, sich nicht abhängig und ausgeliefert zu fühlen, dient es ebenfalls, wenn viele Menschen sich gar nicht mehr als Teil des Ökosystems, sondern als davon außen- bzw. darüber stehend erleben (Habibi-Kohlen 2021). Dadurch entsteht dann das Gefühl, dass wir nicht uns selbst retten müssen, sondern auf etwas verzichten sollen, damit Andere (die Eisbären, Insekten, Bäume oder irgendwelche Inselvölker oder die kommenden Generationen) überleben. Das Gefühl von Aufopferung dominiert dann anstelle eines Schuldgefühls wegen dem, was andere jetzt schon oder künftig wegen unseres Lebensstils erleiden. Diesen Mechanismus nennt man Verkehrung ins Gegenteil. Er ist von hoher Bedeutung, um sich in Ausbeutung und Ungleichheit einzurichten, um ein System zu rechtfertigen, das im Erleben vieler, die davon profitieren, ein gerechtes ist (v. Bronsjijk et al 2021).
Eine weiterer Abwehrmechanismus ist der Fortschritts- und Technikglaube. Also die Vorstellung, dass wir auf nichts verzichten und nichts ändern müssen, weil wir uns darauf verlassen können, dass es künftig großartige technische Lösungen für das Klimaproblem geben wird (ebd. u. Habibi-Kohlen 2021).
Und natürlich ist auch der Einfluss gezielter von der Engergielobby gesteuerter Desinformations-Kampagnen nicht zu unterschätzen. Wobei inzwischen nicht mehr die völlige Leugnung des menschengemachten Klimawandels Inhalt von Kampagnen ist. Das hat sich verändert. Inzwischen werden viel mehr die katastrophalen Auswirkungen von Klimaschutz für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze angeprangert. Die Strategie, den Leuten Angst vor kurzfristigen Problemen zu machen und die langsam heraufziehende Katastrophe gleichzeitig zu leugnen oder zu ignorieren, funktioniert aber immer schlechter je fühl- und sichtbarer inzwischen die ersten Auswirkungen des Klimawandels auch hierzuland sind.
Doch handelt es sich dabei überhaupt immer um bewusste Ideologien und Strategien, wenn politische und ökonomische Entscheidungen meistens nur auf Nahziele und Technikglaube ausgerichtet sind? Das Problem dahinter ist wohl auch eine Generation von EntscheidungsträgerInnen, die mehrheitlich ihre Vergänglichkeit und Begrenztheit stark verleugnet. Die sich der eigenen Abhängigkeit von unser aller Lebensgrundlagen kaum bewusst ist und der Illusion grenzenlosen Freiheit erliegt (King 2020). Viele von denjenigen in Politik und Wirtschaft, die erwachsen und vorausschauend handeln müssten, sind möglicherweise so regrediert und auf die Verewigung ihrer Jugendlichen- Freiheiten bedacht, dass die nachrückende Jugend (also die Generation FFF), zu den eigentlichen VerantwortungsträgerInnen werden muss (ebd.).
Es ist also eine Menge an Ängsten und sehr widersprüchlichen Gefühlen bei allen relevanten AkteurInnen im Raum, welche bislang viel zu wenig in den medialen Diskursen und den zwischenmenschlichen Unterhaltungen über die Klimakrise auftauchen. Was wäre, wenn auch EntscheidungsträgerInnen sich offen zeigen könnten: ich habe Angst und kenne auch nicht die Antworten. Wieviel mehr an Vertrauen wäre möglich, wenn wir spüren könnten: wir sind wirklich alle zusammen in dieser beängstigenden Krise? Die mangelhafte Klimakommunikation ist ein entscheidendes Problem, das wir lösen müssen, um die Klimakrise, um das globale Nicht-Handeln zu überwinden. Wenn wir die Bedrohung fühlen und miteinander darüber sprechen können, ist die Wahrscheinlichkeit sehr viel höher, dass wir zum Handeln motiviert sind (Lertzman 2019). Das Fühlen ist also eine wichtige Sache. Die Klimafakten zu wissen, ist für die meisten Menschen nicht genug, um aktiv zu werden. Wir müssen das paradoxe Problem lösen: wie können wir mit etwas in Berührung bleiben und in unserem Bewusstsein halten, das wirklich sehr schmerzhaft und überwältigend bedrohlich ist? (ebd.) Es ist wirklich hart das zu tun und nur menschlich, sich davor zu schützen. Wir brauchen einander, um uns zu unterstützen, die schmerzhaften Realitäten auszuhalten und um uns selbst und einander zu verstehen. Wir brauchen in allen gesellschaftlichen Bereichen Angebote und Möglichkeiten, um in Dialog miteinander zu kommen und unsere kollektiven Selbsttäuschungen zu überwinden. Es ist möglich und hilfreich, Neugier auf die eigenen Erfahrungen und die der anderen zu entwickeln.
Mit den eigenen Klimagefühlen in Berührung zu sein, erlaubt es, sich auch mit anderen darüber zu verständigen - im Pausengespräch mit KollegInnen, beim Bier in der Kneipe, beim Kaffee mit der besten Freundin, in Klassenzimmern, auf Parkbänken – in Straßenbahnen! Das Sprechen miteinander würde dabei helfen, die öffentliche Klimadiskussion zu verändern, welche aktuell von persönlichen Umweltsünden und subjektiver Klimaschuld hoch aufgeladen ist. Moralische Gefechte, in denen wir gegenseitig das individuelles Fehlverhalten anprangern, bringen uns aber, bringen die verschiedenen sozialen Gruppen auseinander und gegeneinander auf. Gruppen, die sich für die Bewältigung der Klimakrise eigentlich verbünden müssten (Neckel 2021). Zusammenzufinden und miteinander in einen aufrichtigen, nicht moralischen Austausch zu kommen, ist deshalb so wichtig!
In der Gemeinschaft lässt sich zudem die Angst, lässt sich die Kraft der Emotionen in Stärke und Engagement umwandeln. Und wir müssen zusammen arbeiten! Denn natürlich kann niemand die Klimakrise alleine stemmen, das wäre eine Illusion. Bei allem Glaube an unseren persönlichen Einfluss, kommen wir nämlich an einem nicht vorbei, dem sog. Behaviour-Impact-Gap, dem BIG-Problem (v. Bronswijk et al. 2021). Es gibt nämlich eine riesige Lücke zwischen dem Potential, was ich verändern kann und dem, was es dann tatsächlich an Klimaauswirkungen hat. Fasst man CO2-Reduktion als ausschließlich individuelle Aufgabe der BürgerInnen auf, gerät Klimaschutz zu etwas Aussichtslosem.
Bei allen ernsten Bemühungen um nachhaltigen Konsum und allem persönlichen Verzicht
- auf globaler Ebene wirkt sich das nur sehr wenig aus. Solange weiter im großen Stil fossile Brennstoffe zur Energieerzeugung genutzt werden, verpuffen die Effekte der individuellen Bemühungen um ökologische Nachhaltigkeit. Selbst wenn die Superreichen dieser Welt ihren individuellen CO2-Ausstoß reduzieren würden, also auf ihre Ressourcen verschlingenden Villen, Privatjets und Luxusjachten verzichten würden, würde das die Situation nur unwesentlich verbessern. Denn so exorbitant ihr Energieverbrauch auch ist, er ist klimapolitisch weit weniger von Belang als die gewaltigen Emissionsmengen, welche die Unternehmen ausstoßen, die den Superreichen gehören: mehr als die Hälfte der industriellen Emissionen gehen auf eine relativ kleine Anzahl weltweit agierender Konzerne zurück (Neckel 2021).
Vieles, das wir auf individueller Ebene in unserem Konsumverhalten ändern, hat somit bedauerlicherweise lediglich den Charakter von symbolischen Handlungen, die der Selbstberuhigung dienen, leider jedoch die Erde nicht retten werden (v. Bronswijk et al. 2021). Sich der Begrenztheit der individuellen Handlungen nicht bewusst zu sein, ist eine Fehlwahrnehmung und kann zum Selbstbetrug werden, wenn es uns in falscher Sicherheit wiegen läßt. Der Individuums-Fokus der Psychologie ist insofern nur mit Vorsicht auf die Klimakrise anzuwenden. Denn die Haupterklärung für die Untätigkeit bei der Reduktion der Emissionen ist natürlich, dass solche Maßnahmen im Konflikt mit einem unregulierten kapitalistischen-neoliberalen System stehen. Alles, was hilfreich wäre, um die Katastrophe abzuwenden und wovon die Mehrheit der Lebewesen profitieren würde, ist für jene elitäre Mehrheit, welche die polit-ökononomischen Prozesse beherrscht, eine Bedrohung. Insofern darf die Bevölkerung in ihrer Untätigkeit nicht als „Sündenbock“ herhalten für die Interessen von Schwerindustrie, Automobilbranche, Kohleförderung und industrieller Landwirtschaft, welche eine ganz andere Lobby-Macht besitzen als wir BürgerInnen (Neckel 2021). Die Individuen und ihre Lebensstile zum Dreh- und Angelpunkt eines ökologischen Wandels zu machen, greift entschieden zu kurz.
Und dennoch sind wir Teil der kritischen Masse, die in gute Bahnen gelenkt werden muss. Es wäre deshalb unglaublich sinnvoll und effektiv, das alltägliche Konsumverhalten sozial zu strukturieren (ebd.). Unsere Konsumpraktiken sind ohnehin oft viel weniger individuell als wir das glauben möchten. Viele unserer Routinen und Gewohnheiten ergeben sich aus den Standards, dem Marketing und den Infrastrukturen, die uns Staat und Markt vorfinden lassen. Ändern sich die Rahmenbedingungen des alltäglichen Handelns, wird dieses von selbst in Bewegung gesetzt. Wir müssen gar nicht erst zu besseren Menschen erzogen werden, damit wir das ökologisch Richtige tun. „Das Individuum muss nicht erst zu einem besseren Menschen erzogen werden, bevor es das ökologisch Richtige tut. Es tut es, indem es neue Möglichkeiten nutzt, und sich dadurch auch selber verändert.“ (ebd.) Es wäre somit wirksam und sozial gerecht, Nachhaltigkeit staatlich zu organisieren und somit ordnungspolitisch als ein kollektives Gut gegen die privatwirtschaftlichen Interessen zu organisieren, so dass ökologisch verträgliche Infrastrukturen prinzipiell allen BürgerInnen offen stehen (ebd.).
In seinem Urteil zum Klimaschutz hat das Bundesverfassungsgericht von April 2021 eben solche Strukturveränderungen angemahnt und sehr klar gestellt, dass es so etwas gibt wie eine staatliche Verantwortung für den Klimaschutz. Der höchstrichterliche Auftrag für einen staatlich gerahmten Umbau von Produktion und Infrastruktur trifft jedoch auf eine öffentliche Diskussion, in der die Begrenzung des Klimawandels zumeist als individuelle Aufgabe eines jeden Einzelnen begriffen wird. Das ist eine ideologische Verzerrung. Und gleichzeitig ist wahr, das jede und jeder Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft trägt. Jede und jeder Einzelne zählt, wenn es darum geht, dass der notwendige strukturelle Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft schnell und wirkungsvoll auf die politische Agenda kommt. Jede und jeder Einzelne zählt, wenn es darum geht, überhaupt über die Klimaprobleme nachzudenken, sich zu informieren, mit anderen darüber zu sprechen, um dadurch aus der Verleugnung der Krise herauszukommen, so dass sich letztlich genügend Menschen für die entscheidenden klimapolitischen Schritte einsetzen. Es hilft einfach nichts, wir müssen alle KlimaaktivistInnen werden (Neubauer 2019)! Was aber eben viel mehr bedeutet als mehr Rad zu fahren, weniger Fleisch zu essen, weniger zu fliegen usw., so leicht ist es nicht. Wir alle sind mehr als nur KonsumentInnen, auch wenn wir darauf gerne reduziert werden (ebd.). Wir sind allesamt politische Wesen, wir können alle Teil von dieser Veränderung werden, die wir in so kurzer Zeit brauchen. Dafür müssen wir nicht jede Studie kennen und dauernd Flugblätter verteilen und Petitionen starten. Aber wir müssen alle aus unserer Komfortzone heraus. Auch um Energie und Ressourcen zu sparen, aber viel wichtiger: um zu kommunizieren, um das Verdrängte nach oben zu holen. Wir alle müssen die Verantwortung tragen, dass in unseren Lebensbereichen – bei der Arbeit, in der Schule, in der Familie, in der Nachbarschaft, beim Sport – das Wissen um die Klimakrise nicht weiter verdrängt wird. Das geht am besten mit anderen zusammen, wenn die Kräfte gebündelt werden. Wenn Sie es allein machen, fühlen Sie sich nur unwohl. Wenn Sie viele sind, sind Sie eine Bewegung und schwer zu ignorieren! Wenn Sie Dinge nicht tun, ist die Chance hoch, dass niemand sie tut (ebd.). Nehmen Sie also ernst, wieviel Sie als Einzelne bewirken können und müssen, da Sie sich auf die Herrschenden in Politik und Wirtschaft nicht werden verlassen können. Wir werden sie aufscheuchen müssen.
Literatur:
van Bronswijk, Katharina; Komm, Jan-Ole; Zobel, Ingo (2021): Die Evolution der Drachen der Untätigkeit. Aktuelle Erkenntnisse zur Lücke zwischen Wissen und Handeln. In: Dohm, L.; Peter, F.; v. Bronswijk: Climate Action. Psychologie der Klimakrise. Gießen: Psychosozial.
Chmielewski, Fabian; Knülle, Bettina; Peter, Felix; van Bronswijk; Katharina (2019): Wir brauchen alle eine Therapie. https://www.fr.de/politik/brauchen-alle-eine-therapie-13018409.html
Habibi-Kohlen, Delaram (2013): „Klimawandel“ und wieso man sich als Psychoanalytiker
damit beschäftigen kann. http://psychoanalyseforum.de/blog/klimawandel-
psychoanalyse/
Habibi-Kohlen, Delaram (2021): Zur zeitbedingten Abwehr der Klimakrise. In: Dohm, L.; Peter, F.; v. Bronswijk: Climate Action. Psychologie der Klimakrise. Gießen: Psychosozial. Horn, Eva (2022): Sagen Sie doch mal was Positives! Vom Nutzen und Nachteil der Schwarzmalerei. https://www.deutschlandfunk.de/sagen-sie-doch-mal-was- positives-100.html
King, Vera (2020): Generativität und die Zukunft der Nachkommen. In: Moeslein-Teising, I./ Schäfer, G./Martin, R. (Hg.): Generativität. Gießen: Psychosozial.
Lertzman, Renee (2019): How to turn climate anxiety into action. https://www.ted.com/ talks/renee_lertzman_how_to_turn_climate_anxiety_into_action Lertzman, Renee (2016): Environmental Melancholy: Psychoanalytic dimensions of engagement, London, New York/Routledge.
Neckel, Sighard (2021): Die Klimakrise und das Individuum. Über selbstinduziertes Scheitern und die Aufgaben der Politik, https://www.soziopolis.de/die-klimakrise-und-das-individuum.html
Neubauer, Luisa (2019): Why you should be a climate activist. https://www.ted.com/talks/ luisa_neubauer_why_you_should_be_a_climate_activist
PsychologistsForFuture (2022): Klimaangst. https://www.psychologistsforfuture.org/ klimaangst
Thunberg, Greta (2019): Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
Vortrag vom 11.6.2022 gehalten in der Bremer „Klimabahn“ (Veranstaltung von ScientistsForFure & BSAG)
Anschrift der Verfasserin: Dr. phil. Andrea Lilge-Hartmann Schwachhauser Heerstraße 69 28211 Bremen
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